Meldungen aus dem Landesverband Saar
Meldungen aus dem Landesverband Saar

„Meine Spende ist auch als freundliche Mahnung gedacht“

Eine großzügige, anonyme Spenderin erzählt ihre Familiengeschichte

Großvater Mathias Wöll als junger Mann (sitzend, unten Mitte). Die Männer gingen sonntags nach der hl. Messe zum Frühschoppen zum Dorfwirt, die Frauen kochten derweil daheim das Mittagessen. Hüte wurden von Mathias Wöll immer gerne getragen, ob es der Sonntagshut war, der Strohhut für die Feldarbeit oder ein alter Arbeitshut. privat

Mitten im Sommer erreichte uns der Anruf einer sehr freundlichen Dame, die sich nach der Kontoverbindung des Landesverbandes Saar erkundigte. Sie wolle gerne eine Spende tätigen. Der Anruf freute uns sehr – wie immer sind wir froh, wenn jemand von sich aus den Volksbund unterstützen möchte. Doch was dann kam, hatten wir nicht erwartet: die Spenderin hatte 3.000 Euro auf unser Konto überwiesen! Wir waren sprachlos – vierstellig sind private Spenden eher selten. Sofort bedankten wir uns herzlich bei ihr und erkundigten uns, was sie dazu veranlasst hatte.

Sie schrieb daraufhin die Geschichte ihrer Vorfahren für uns auf. Wir veröffentlichen ihren Text unten so, wie sie ihn geschrieben hat. Auf ihren Wunsch hin nennen wir ihren Namen nicht.

Herzlichen Dank nochmal für diese großzügige Geste!

 

"Rosen, die im Winter blühen

Ich bin dankbar dafür, dass fast alle meine Vorfahren die Weltkriege überlebten – auch mein Großvater mütterlicherseits, Schuhmachermeister und Landwirt, geboren 1900 in einem damals kleinen Dorf in Oberbayern; am Ende der Bahnlinie von München-Pasing nach "Höhendorf" (das sich nur deshalb "Hechendorf" schreibt, weil ein kaiserlicher Landvermesser Ende des 19. Jahrhunderts des Bayrischen Mundart nicht mächtig war). Nach dem 2. Weltkrieg wurden dort Hunderte Geflüchtete einquartiert, teils in Siedlungen im Wald ringsum, die noch heute Bestand haben, wodurch sich die Einwohnerzahl schlagartig massiv erhöhte. Jedenfalls mein Opa war Gebirgsjäger und "Schnapser" in Verdun gewesen und im 2. Weltkrieg in Idar-Oberstein stationiert worden. Während meine Großmutter, geboren 1898, den kleinen Landwirtschaftsbetrieb großenteils alleine und mithilfe des Dorfes bewirtschaftete, samt Haushalt, Gemüsegarten, Hühnern und Kühen; und dabei noch Obst einkochte, die Wäsche ohne Waschmaschine wusch, Fremdenzimmer vermietete und drei Kinder großzog – Herbstmilch ist für sie Normalität gewesen.

Meine Mutter kam 1936 auf die Welt als Jüngste von den Dreien. Den Schmuck aus Idar-Oberstein, den mein Großvater meiner Großmutter mitbrachte, trug sie stolz an besonderen Tagen. Ich bewahre ihn heute noch in Ehren auf. Zum Glück im Unglück stach im Heimaturlaub eine Kuh ihr Horn meinen Opa ans Auge, sodass er nicht mehr einrücken musste. Er schimpfte so heftig auf Hitler und die Nazis, dass meine Oma ihn wohl oft ermahnte, nicht zu laut zu werden, weil es gefährlich sei. Noch bevor sie einen Krieg vom Zaun brachen, prophezeite Opa, Adi werde "uns alle an die Gant bringen" (auf Hochdeutsch: ruinieren). Recht behielt er – leider!

Von einem Spezi aus Andechs hörte ich, dass seine Großtante damals "beim Spöckmeier" (einer alteingesessenen Speisewirtschaft) in München am Marienplatz Bedienung war, als Adolf Hitler als ganz kleines armes Licht umherschlich. Vor Mitleid mit der halb verhungerten Gestalt spendierte sie ihm ab und zu übriggebliebene Weißwürste. "Wenn ich geahnt hätte, wo das endet", sagte sie später, "ich hätt‘ ihn verhungern lassen sollen". In München hinter der Feldherrnhalle gibt es die sogenannte "Drückebergergasse", die später mit goldenen Pflastersteinen gekennzeichnet wurde - wo sich diejenigen unauffällig durchschleusten, die keine Lust hatten, vorneherum zu gehen und den Arm zu heben. Als die Alliierten gesiegt hatten, wurden im Haus meiner Großeltern französische Soldaten einquartiert. Ein deutscher General aus der Nachbarschaft wurde von ihnen kurzerhand auf offener Straße erschossen.

Mein Großvater väterlicherseits, Eisenbahner aus München, hatte leider kein Glück. Er wurde 1942 in Rußland mit seinem gepanzerten Zug in die Luft gesprengt, als mein Vater elf Jahre alt war. Meine Großmutter hat nie wieder geheiratet, sondern ihren Sohn versorgt und ihrem Bruder den Haushalt geführt. Dieser betrieb eine Drogerie, roch immer sehr fein, und trug stets einen Brillanten als Notreserve am linken kleinen Finger. Die beiden wohnten in einer Wohnung Nähe Rotkreuzplatz, an der Einflugschneise der Bomber von Richtung Hackerbrücke/ Hauptbahnhof her die Landshuter Allee entlang. Die Wohnungen wurden damals noch mit Kohleöfen beheizt, die Kohle musste vom Keller in den 2. Stock geschleppt werden. Den Ruf des Kohlenhändlers habe ich noch im Ohr; und die rußschwarzen Finger, wenn ich die Fensterbretter entlangfuhr, fand ich interessant, weil wir das "auf dem Land" nicht kannten. Und frage mich heute manches Mal, über welche Luftverschmutzung wir uns aufregen.

Die "München-Oma" erzählte mir als Kind oft, wie sie in den Luftschutzkeller mussten. Eine Zeitlang wohnten Sie und mein Vater bei Verwandten in der Nähe, da die Wohnung stark zerstört wurde. Um genug Essen zu bekommen, fuhr sie zu den Bauern zum Tauschen ins Umland und nahm lange Fußmärsche auf sich.

Nach dem 2. Weltkrieg nähte sie als gelernte Schneiderin für teure Modegeschäfte in der Maximilianstraße in München in Heimarbeit Kleider; sie bekam 2 DM pro Kleid, das dann für ein Vielfaches verkauft wurde. Nach dem 1. Weltkrieg, den meine Oma als Schulkind miterleben musste, gab es Schulspeisung, nur für sie leider keine Extraportion, da sie schon immer einen sehr kräftigen Körperbau hatte, und gesagt bekam, sie würde zu viel essen. Da setzte sie ihren Wunsch in die Tat um und kaufte sich von ihrem ersten Lehrgeld 2 Pfund der sehnsüchtig begehrten Bananen.

Meine Tante Zenta, die Halbschwester meiner Münchner Oma, Haushälterin bei wohlhabenden Leuten, die ebenfalls zwei Weltkriege überlebte, wurde, geistig fit bis zuletzt, 101 Jahre alt. Es hieß in der Familie, sie sei besser versorgt gewesen als andere. Mein Vater, geboren 1931, wurde nach dem Krieg zur "Steine-Räum-Jugend" eingeteilt. Er wurde wie sein Vater "Eisenbahner" und arbeitete bis zur Rente bei der Bundesbahn. Daneben war er seit seiner Jugend 60 Jahre lang bei der Bergwacht München ehrenamtlich tätig. Er schaffte es zeitlich auch noch, 3x zu heiraten, ein Haus zu bauen und in Nepal auf dem Himalaya herumzuklettern.

„Deshalb spende ich es gerne für etwas in meinen Augen sehr Sinnvolles“

An die enorme, heutzutage sicher unüblich hohe, Lebensleistung meiner Vorfahren und was sie in den Weltkriegen persönlich alles ausgehalten und ertragen haben, kann ich nur mit höchstem Respekt und Bewunderung denken. Vielen Menschen ist es wichtig, durch spätere Nachforschungen ihre im Krieg unbekannt verschollenen Angehörigen aufzufinden oder etwas über ihr Schicksal zu erfahren. Ebenso wichtig ist es, Gedenkstätten aus dem Krieg zu erhalten und historische Informationen an junge Menschen weiterzugeben.

Nachdem meine eigenen Familiengräber inzwischen weit weg sind, war meine Idee, anstatt dessen einen Betrag zu verwenden zum Andenken an die gefallenen Soldaten, die für uns alle unter unmenschlichen Umständen im Krieg ihre Leben gelassen haben. Diejenigen nicht zu vergessen, die heutzutage unsere Freiheit und unser Wohlergehen schützen und im Notfall verteidigen. Meine Spende ist auch als freundliche Mahnung gedacht, dass die Grauen der Kriege grundsätzlich ein menschlicher Wahnsinn sind. Ob unsere Evolutionsgeschichte einfach nichts anderes zulässt, während Kooperation doch mehr Vorteile bringt?

Wie wir ausgerechnet ins Saarland kamen? Mein Mann und ich hatten preisgünstig ein altes Häuschen gemietet, im Fünfseenland westlich von München, das Eigentum der Stadt war. Jahrelang genossen wir den schönen Ausblick auf die Alpen, bis die Gier zuschlug und das Grundstück verkauft wurde. Wir beschlossen, uns in einer bezahlbaren Gegend ein neues Plätzchen zu suchen. Zufall oder Einfluss "von oben", fanden wir ausgerechnet in der Nähe des ehemaligen Stationierungsortes meines Großvaters Idar-Oberstein ein altes Bauernhaus mit Platz für uns und unsere Schäferhündin, wo wir gerne ausgedehnte Spaziergänge unternehmen. Frankreich ist nicht weit, wohin es immer wieder Kontakte gab und Urlaubsfahrten. Mein verstorbener Bruder hatte ebenfalls mehrere Jahre in Frankreich verbracht und dort gearbeitet.

Mich freut es sehr, dass inzwischen die Verbindungen zwischen Deutschland und Frankreich so friedlich und positiv sind. Und dass das Saarland als Spielball von verfeindeten Mächten derzeit "seine Ruhe" hat. Ich wünsche allen, dass das in der Zukunft so bleibt. Wir sollten es genießen und das tägliche kleine Glück zu schätzen wissen.

In Bayern sagt man: "das letzte Hemd hat keine Taschen". Was wir von dieser Welt mitnehmen, weiß niemand, aber Geld ist es ganz sicher nicht. Deshalb spende ich es gerne für etwas in meinen Augen sehr Sinnvolles.

Bon temps!"

Amélie Zemlin-Kohlberger Assistentin für Öffentlichkeitsarbeit